Statt des üblichen Nachmittagsunterrichts stand heute nach dem langen Pfingstwochenende für die SchülerInnen unserer Oberstufe „Politik hautnah“ im Stundenplan. Zur Podiumsdiskussion fanden sich Dr. Peter Liese (CDU), Birgit Sippel (SPD), Janina Singh (Bündnis 90/Die Grünen) und Tibor Zachar (FDP) in der Mensa der Clara ein, um vor voll besetztem Publikum über die Zukunft der EU zu sprechen.
Die von Celine Reichwald und Marvin Müller (Q1) moderierte Podiumsdiskussion eröffnete Schulleiter Marco Schneider mit einem der bekanntesten Zitate Willly Brandts: „Wir wollen mehr Demokratie wagen“ und bezog dieses auf das neue Motto der CSG „Zukunft leben Lernen“ und den Anspruch der Clara ihre SchülerInnen zu verantwortungsvollen BürgerInnen eines demokratischen Staatswesens zu erziehen. Dabei hob er die Einzigartigkeit der EU sowohl als demokratisches Novum einer supranationalen Vereinigung der europäischen Staaten als auch als, gerade heute umso wichtigeres, Friedensprojekt.
Anschließend erklärte Celine Reichwald den Ablauf des Nachmittags. Danach stellten sich die einzelnen KandidatInnen und ihre Parteien vor.
Dr. Liese betonte, dass Naturschutz, Freiheit und eine gute Integration sowie Gesundheit für ihn wesentliche Fixpunkte seiner Europapolitik seien. Daneben betont er, dass es wichtig sei, gegen jene zu stehen, die Europa ablehnten und sich gegen die EU aussprächen.
Herr Zachar stellte heraus, dass Menschen- und Minderheitenrechte, aber auch Rechtsstaatlichkeit und die europäische Gemeinschaft erlebbar zu machen seine Hauptpunkte sind, ihre Bedeutung aus seiner eigenen Lebensgeschichte, die von der Samtenen Revolution in der ehemaligen Tschechoslowakei geprägt sei, resultieren. So sei es wichtig, dass die Menschen innerhalb der EU stärker miteinander in Kontakt treten und Projekte wie „Erasmus“ weiter gestärkt werden.
Frau Singh möchte sich für Start Ups, soziale Gerechtigkeit und Bildungsgerechtigkeit einsetzen. Aber auch Rassismus bzw. Rassismusbekämpfung sind ihr wichtige Anliegen.
Frau Sippel ist es wichtig, Meinungsfreiheit, persönliche Freiheit und Rechtssicherheit zu schützen, weswegen sie sich für den Datenschutz einsetzt. Zudem betont sich die Wichtigkeit der Diskriminierungsfreiheit für alle Menschen und den Schutz der Rechte von allen Menschen. Daneben hob sie auch die friedenssichernde Bedeutung der EU vor, die in der aktuellen Lage umso wichtiger ist.
Nach dieser Vorstellungsrunde leitete Marvin Müller zur eigentlichen Diskussion über, die mit dem Thema „Starke und sichere EU“ eröffnet wurde. Dr. Liese betont, dass Europa sich mehr im Bereich der Sicherheit engagieren müsse, um sich gegen äußere Angriffe, etwa den Russlands auf die Ukraine, schützen zu können. So sieht er die Gefahr, dass – nach einem siegreichen Krieg Russlands gegen die Ukraine – eine akute Bedrohung für die Staaten der EU bestünde. Zudem könne Europa sich nicht weiterhin auf den militärischen Schutz der USA verlassen, da dieser in den letzten Jahren ins Schwanken geraten sei. Als zentrale Stelle in der EU sieht Liese daher einen Verteidigungskommissar, der sicherstellen solle, dass die EU für ihre steigenden Rüstungsausgaben auch qualitativ hochwertiges Material erhalte.
Herr Zachar machte deutlich, dass die EU sich nicht von einzelnen Mitgliedern „auf der Nase herumtanzen lassen dürfe“, wie es Viktor Orban gerade tue. Zudem müssten Abhängigkeiten von autoritären Regimen reduziert und stattdessen die Kontakte zu demokratischen Staaten Asiens und Afrikas gestärkt werden, um diesen Ländern einerseits zu helfen und andererseits neue starke Partnerschaften für die EU zu etablieren. Um sich gegen die Aggressionen von außen behaupten zu können, plädierte Zachar ebenfalls für einen Verteidigungskommissar, aber auch für eine gemeinsame europäische Armee.
Frau Singh plädiert für ein gemeinsames Beschaffungsvorgehen für Rüstungsgüter, um interne Konkurrenzen unter den EU-Staaten zu vermeiden. Auch ein koordinierteres Vorgehen gegen Desinformationskampagnien autokratischer Regime forderte Frau Singh. Dazu solle eine europäische Nachrichtendienstagentur eingerichtet werden. Zudem müsse Europa unabhängiger werden von autokratisch regierten Ländern, etwa durch eigene Energieproduktionsprojekte.
Frau Sippel plädiert für eine Vereinheitlichung der Rüstung und eine klare Haltung gegenüber autokratischen Aggressoren. Dafür bedürfe es des starken Zusammenhalts der EU-Mitglieder und der Einnahme von gemeinsamen Verhandlungspositionen. Auch für Sippel ist es wichtig, dass die EU ihre Unabhängigkeit von Russland und China stärke und dies als Gemeinschaft, bei der nicht nur einige, sondern alle Länder an einem Strang ziehen. So sei es auch bedenkenswert, ob Produktionsstätten nicht wieder in die EU zurückverlagert werden können, um Europa wirtschaftlich wieder unabhängiger zu machen.
Das nächste Thema, das angesprochen wurde, war die Wehrpflicht. Für Dr. Liese ist, entgegen dem Beschluss der Bundes-CDU, eine Rückkehr zur Wehrpflicht keine günstige Lösung. So müssten eher Anreize für ein soziales Engagement geboten werden, die sowohl die Bundeswehr als auch die Pflegeeinrichtung stärken sollen.
Herr Zachar steht, als Liberaler, Pflichten und Vorschriften ohnehin skeptisch gegenüber und lehnt die Wiedereinführung der Wehrpflicht ab.
Frau Singh sprach sich ebenfalls gegen Wehrpflicht, aber auch gegen ein verpflichtendes soziales Jahr aus.
Frau Sippel sieht es kritisch, dass vor allem Personen aus dem rechten Spektrum ein Interesse am Wehrdienst hätten und spricht sich daher für die Aufklärung und Stärkung des Sozialen Jahres aus. Zudem sei für eine Stärkung des Pflegesystems nicht eine Dienstpflicht das Mittel der Wahl, sondern eine Verbesserung der Situation der Pflegekräfte nötig sei.
Als drittes wurde der EU-Beitritt der Ukraine aufs Tablett gebracht. Dr. Liese sieht diesen als wünschenswert, aber erst in einigen Jahren umsetzbar an.
Herr Zachar machte deutlich, dass ein Beitritt der Ukraine nur sinnvoll sei, wenn die ukrainische Gesellschaft auch demokratisch genug sei bzw. dazu bereit sei, demokratisch und freiheitlich zu agieren. Ungarn unter Orban sei da ein abschreckendes Beispiel.
Frau Singh sieht die Ukraine perspektivisch als Beitrittskandidatin für die EU, dafür müsste aber zunächst der Krieg beendet und das Land wieder aufgebaut sein. Zudem müssten zunächst die Kopenhagener Kriterien erfüllt sein. So müssten generell Länder, die sich auf den Weg der Erfüllung dieser Kriterien machen, gestärkt werden.
Frau Sippel betont, dass die Vorkriegsukraine kein demokratischer Staat, sondern ein oligarchischer gewesen sei und daher noch ein langer Weg zur Erfüllung der Kopenhagener Kriterien zu bewältigen sei, auf dem man die Ukraine aber gerne begleiten wolle.
Dr. Liese betonte darauf, dass die letzten beiden Präsidenten der Ukraine demokratisch gewählt worden seien und daher auch die Ukraine als demokratisch anzusehen sei. Sippel verwies darauf auf die Entwicklung Ungarns, dessen Fehlentwicklung gezeigt habe, dass oligarchische Strukturen, wie sie bisher auch in der Ukraine noch bestanden, ein demokratisches System unterminierten.
Philipp Tanger (Q2) griff die Europäische Armee und die Frage nach einer europäischen Atombombe auf. Sippel lehnte eine zentrale europäische Militärführung ab und sprach sich gegen eine europäische Bombe aus. Dem stimmte Singh zu, die betonte, dass nicht absehbar sei, wer das Kommando führen solle. Zachar sprach sich für die europäische Armee aus und erklärte, dass diese aus Sicht der Liberalen ein wichtiges europäisches Instrument sei. Eine Atombombe für die EU lehnte er jedoch ab. Liese lehnte eine Atombombe ebenfalls ab, regte aber Gespräche mit den Atommächten Europas an. Für eine europäische Armee hingegen sprach er sich aus, da es bereits deutsch-französische Kooperationen dieses Art gebe, die man gesamteuropäisch ausbauen könne. Zudem sei eine europäische Armee ein wichtiges Hindernis für innereuropäische Kriege und damit ein wichtiges Mittel der Friedenssicherung.
Ausgehend von einer Publikumsäusserung zur negativen Darstellung Russlands erläuterte Dr. Liese, dass nicht Russland in der Kritik stehe, sondern das Regime Vladimir Putins. In diesem Kontext entzündete sich an der Frage, ob die Ukraine vor dem Angriff Russlands ein demokratisches Land sei, zwischen Dr. Liese und Frau Sippel eine heftigere Auseinandersetzung, die Herr Zachar durch eigene Erfahrungen zu entschärfen suchte. So unterstütze er Lieses Haltung, dass die Demokratie auch vor dem Krieg ein demokratisches Land gewesen sei. So betonten sowohl Liese, Zachar als auch Singh, dass es auch in Russland Menschen gebe, die sich für eine Demokratisierung des Landes einsetzen und die daher auch unterstützt werden müssten. Dem schloss sich Frau Sippel ebenfalls an.
Auf die Frage von Sabri Yousef (Q1), was die PolitikerInnen zur Teilnahme an der Podiumsdiskussion bewegt habe, betonten alle, dass es wichtig sei, gerade vor einer solch wichtigen Wahl, den Kontakt zu den jungen Menschen und den ErstwählerInnen zu suchen und sich deren Wünsche und Erwartungen für die EU anzuhören und mit in die große Politik zu nehmen.
Zum Krieg der Hamas gegen Israel sagte Sippel, dass die internationalen Haftbefehle für Nitanjahu und drei Hamasführer richtig seien, da sowohl der Angriff der Hamas als auch die massive militärische Reaktion der israelischen Regierung verurteilenswert seien, wobei Israel und die Hamas nicht auf eine Stufe gestellt werden dürften. Dem stimmte Dr. Liese zu. Singh betonte, dass die Zwei-Staaten-Lösung erneut aufgegriffen und humanitäre Hilfe geleistet werden müsse. Zachar findet es gefährlich, sich auf eine Seite zu stellen und machte deutlich, dass es um die Menschen gehe, die Unterstützung benötigten und die Menschen im Zentrum stünden.
Sabahat Habibi (Q1) fragte im Anschluss, was denn eine gerechte Bestrafung für die Leiden der Menschen in Gaza sei und wie die aussehen solle. Liese betonte, dass man die Hamas und die Palästinenser trennen müsse und, dass er nur für die Hamas Konsequenzen fordere. So müsse im Kampf gegen die Hamas abzuwägen sei, ob Aktionen gegen diese eventuelle Kollateralschäden rechtfertigen könne. Auf die Nachfrage, ob neben dem Angriff der Hamas auch die Gegenmaßnahmen Israels als Terror qualifiziert würden, machte Liese klar, dass Angriffe gegen die Zivilbevölkerung terroristische Züge hätten und zu verurteilen seien. Sippel machte zudem klar, dass beide Seiten ein Interesse an der Beendigung des Konflikts zeigen müssten, um ihn sinnvoll beenden zu können.
Romy Del Negro (Q1) fragte, ob die Wahl des US-Präsidenten Auswirkungen auf die Wahlprogramme der Parteien haben werde. Laut Sippel werde die Wahl keinen Einfluss auf das Wahlprogramm haben werde, aber sie betont, dass eine zunehmend autokratische Politik Trumps eine angemessene entsprechende Politik der EU erfordere. Singh schloss sich dem an und betonte, dass sich Europa zukunftssicher und unabhängiger machen müsse. Zachar möchte positiv in die Zukunft sehen, indem Bürokratie abgebaut und Erasmus gestärkt werde, um ein starkes und handlungsfähiges Europa zukunftssicher zu machen. Liese konstatiert, dass man bei der Erstellung des Wahlprogramms bereits eine Wiederwahl Trumps berücksichtigt habe und daher keine Änderungen vornehmen müsse. Jedoch müssten der europäischen Wirtschaft Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es ihr ermöglichen weiterhin konkurrenzfähig zu prosperieren. Singh betont, dass die Klimapolitik für die Grünen im Zentrum stehe, weswegen die EU mehr gegen die Klimakrise machen müsse, wobei der Wirtschaft Planungssicherheit gegeben werden müsse. Eine von konservativer Seite angedrohte Aufhebung des Green Deals sieht sie daher äußerst kritisch. Liese betonte darauf, dass europäische Alleingänge wenig zielführend seien, sondern die EU es schaffen müsse, andere Länder mitzunehmen, um das Klima zu schützen. Sippel machte daraufhin klar, dass es weiterer Anstrengungen für den Klimaschutz brauche, da die Kosten von uns allen getragen werden müssten.
Celine Reichwald und Marco Schneider bedankten sich bei den PolitikerInnen für ihr Kommen und überreichte eine kleine Aufmerksamkeit als Dank der Schulleitung. Zudem bedankte sich Schneider bei Philipp Tanger als Initiator der Diskussion, die in Kooperation durch die SV und die Schulleitung organisiert wurde.
Zum Abschluss stimmte Zachar auf seiner Gitarre die Europahymne und forderte die anwesenden SchülerInnen dazu auf, mit einzustimmen.